Prozeßverlauf

26.05.2010

BND floppt mit Landesverrats- und Spionagevorwurf / Hohe Strafen aus Gründen der Staatsräson? / Revision angekündigt

Wegen des Vorwurfs, ein ehemaliger Resident des Bundesnachrichtendienstes habe seinen Dienstherrn in zwei Jahren um insgesamt 14.700 € zugunsten seines Dolmetschers betrogen, während er selbst über 7.000 € monatlich verdiente, wird kaum einer der zahlreichen Zuschauer und Pressevertreter den Weg zur Urteilsverkündung im Sitzungssaal des Oberlandesgerichtes München auf sich genommen haben.

Und dennoch war es so. Harte Strafen von zwei Jahren und drei Monaten für den Angeklagten Anton K. und ein Jahr und zwei Monaten zur Bewährung für seinen Lebensgefährten und ehemaligen Dolmetscher Murat A. verhängten die Richter zum vorläufigen Abschluß eines über zwei Jahre dauernden Strafverfahrens.

Ins Rollen gekommen war der Fall Anfang des Jahres 2008, weil der BND nach einer Meldung der Ex-Frau des Angeklagten Anton K. über angebliche „Wesensveränderungen“ vermutete, der mit dem Aufbau einer umstrittenen Residentur im Kosovo beauftragte Resident habe sich von seinem Dolmetscher in eine „Romeo-Falle“ locken lassen, über ihn umfangreiche Geheimdokumente an andere Nachrichtendienste geliefert und zusätzlich das gesamte von ihm selbst aufgebaute Quellennetz des BND im Kosovo verraten. Von einem „Super-Gau“ des deutschen Auslandsgeheimdienstes auf dem Balkan mutmaßten damals Geheimdienstexperten.

Gespannt durften deshalb auch die Zuhörer erwarten, was von diesem an Zeiten des „Kalten Krieges“ erinnernden Vorwurf nun übrig bleiben würde. Nachdem bereits die Bundesanwaltschaft in ihrem Schlußplädoyer eingeräumt hatte, daß der Dolmetscher Murat A. wohl nicht wie von ihr bis dahin behauptet, für andere Nachrichtendienste oder die organisierte Kriminalität spionierte, sah sich der 6. Senat des Oberlandesgerichtes München nun offenbar gezwungen, selbst den danach noch verbliebenen, schon stark reduzierten Vorwurf des Offenbarens eines einzigen Staatsgeheimnisses wegen einer angeblich sensitiven Übersicht über die muslimische Sekte der „Vehabisten“ im Kosovo aus dem Jahr 2006 fallen zu lassen. Auch die von BND und Bundesanwaltschaft behauptete Weitergabe von umfangreichen geheimen Daten, Dateien und Abrechnungen habe sich nicht bestätigt.

Die Übersicht zu „Vehabisten“ im Kosovo hatte der Angeklagte Anton K. als Resident seinem mit Wissen der BND-Vorgesetzten bei über 160 vertraulichen Gesprächen mit örtlichen Informanten, Übersetzungen und auch der Beschaffung von Informationen zum Thema ‚Vehabisten‘ eingesetzten Dolmetscher gezeigt, um hierzu weitere Recherchen zu ermöglichen. Das Dokument gab selbst den ermittelnden BND-Beamten Rätsel auf, die es im Verfahren mit einem anderen Papier verwechselten und verschiedene Varianten zu dessen angeblicher Einstufung angaben.

Was Bundesanwaltschaft und BND mit Blick auf die behauptete geheimdienstliche Agententätigkeit des Angeklagten Murat A. indessen jedenfalls zum hochsensiblen „Staatsgeheimnis“ aufplusterten, ordnen die Richter nunmehr nur noch als bloßes Dienstgeheimnis ein. Weil er das Dokument im Dienst erhalten habe, hätte es der Angeklagte Anton K. für sich behalten müssen. Unerheblich, ob er der Meinung war, der Einsatz der Übersicht ermögliche ihm weitere Erkenntnisse für den Bundesnachrichtendienst. Ein Dienstgeheimnis habe der Angeklagte Anton K. schließlich auch verletzt, weil er seinem Dolmetscher und Lebensgefährten die Decknamen dreier Vorgesetzter offenbart und diese auch noch als „großer Chef“, „kleiner Chef“ und „Personalchefin“ bezeichnet hat. Hierdurch habe er es seinem Dolmetscher ermöglicht, Rückschlüsse auf Strukturen des BND zu ziehen und dadurch zur Identifizierung möglicher Zielpersonen für feindliche Nachrichtendienste beigetragen. Allerdings blieb es erst der Gerichtsverhandlung vorbehalten, diese und andere Vorgesetzte sowohl dem Mitangeklagten Murat A., als auch der anwesenden Öffentlichkeit nun persönlich und von Angesicht zu Angesicht vorzustellen.

Begründung und Strafmaßzumessung des Gerichts veranlaßten den Verteidiger des Angeklagten Anton K., Rechtsanwalt Sascha Jung im Anschluß an die Verkündung des Urteils denn auch zu der sarkastischen Bemerkung: „Wenn dieser Prozeß eines gezeigt hat, dann daß es nicht ratsam ist, sich mit dem Bundesnachrichtendienst auf eine Zusammenarbeit einzulassen. Denn wer für diesen Dienst im Ausland tagtäglich in einer Grauzone agiert und Abwägungsentscheidungen trifft, scheint im Ernstfall damit rechnen zu müssen, ganz schnell und von allen Vorgesetzten und Kameraden verlassen allein zu stehen.“

Dem pflichtete auch Rechtsanwalt Christian Stünkel bei, dessen Mandant Murat A. durch den Bundesnachrichtendienst öffentlich nicht nur als „angeblicher Super-James-Bond“ der geheimdienstlichen Agententätigkeit gegen die Bundesrepublik Deutschland verdächtigt worden war, sondern den der Bundesnachrichtendienst im Kosovo „schlicht und ergreifend verheizt“ habe. „Daß sich die Republik Mazedonien oder die im Auftrag des Bundesnachrichtendienstes ausgeforschten Personen und Gruppen auf dem Balkan wegen seiner Tätigkeit für den BND bei ihm melden könnten, scheint in diesem Dienst überhaupt niemand zu interessieren.“

Übereinstimmend wiesen beide Verteidiger zudem darauf hin, daß im Prozeß an 30 Verhandlungstagen in aller Öffentlichkeit wesentlich mehr Geheimnisse offenbart wurden, als dies nun noch dem Angeklagten vorgeworfen wird. Während der Zeugeneinvernahmen kamen nicht nur zahlreiche Interna, Dienstnamen, Funktionen und Strukturen des BND zur Sprache. Nein, selbst der Klarname eines ehemaligen Agenten wurde in aller Öffentlichkeit ausgeplaudert, weil der Bundesnachrichtendienst diesen in der zu verlesenden Aussagegenehmigung aufgeführt hatte, obwohl der Zeuge nur unter seinem Dienstnamen aussagen sollte. Ein Journalist fühlte sich daher zu der bangen Frage veranlaßt, ob er jetzt alle seine Prozeßmitschriften vernichten müsse.

Zum Jubel gibt der Ausgang des Prozesses im Ergebnis weder auf Seiten des Bundesnachrichtendienstes noch der Angeklagten Anlaß. Zwar liegt nun offen, daß der Bundesnachrichtendienst sich in den Verdachtshypothesen gegen seinen ehemaligen Kosovo-Residenten völlig verrannt hatte, was kein gutes Licht auf den Realitätssinn und die Fähigkeit zur besonnenen Krisenrektion in dieser Behörde wirft, wo selbst hanebüchene Verschwörungstheorien leicht offene Ohren zu finden scheinen. Hart bestraft wurden aber auch die beiden Angeklagten, allerdings im Ergebnis wegen eines Vorwurfes, den die Bundesanwaltschaft im Sommer vergangenen Jahres erst nachschob, als selbst rechtswidrige Ermittlungsbemühungen nicht dazu geführt hatten, die ursprüngliche BND-Hypothese von Landesverrat und geheimdienstlicher Agententätigkeit eines „Schwulen-Pärchens“ zu erhärten.

„Gründe der Staatsräson“ vermutete deshalb auch ein Zuschauer hinter den hohen Strafen für ein Delikt, das eigentlich nicht vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts, sondern eher dem Amtsrichter verhandelt würde. Die Verteidigung hatte im Prozeß mehrfach eine zu enge Verschränkung von Bundesanwaltschaft und Bundesnachrichtendienst beanstandet, die sich massiv auf die Beweisaufnahme auswirken mußte.

Nach Urteilsverkündung sah man die urteilenden Richter des Senats, die beiden Vertreter der Bundesanwaltschaft und die Leiterin des BND-Untersuchungsreferats noch in trauter Runde im Café Asma hinter dem Gerichtsgebäude…

Die beiden Angeklagten kündigten umgehend an, gegen die Urteile Revision einzulegen. Ihren Kampfeswillen hätten sie nicht verloren und durch das harte Los werde die gemeinsame Liebe zueinander nur bestärkt: “Nicht wir haben den Staat verraten, der Staat hat uns verraten.“

20.05.2010

Verteidiger fordern umfassenden Freispruch / „Story vom Super-James-Bond des Balkan ist widerlegt“

Nach dem Schlußplädoyer der Bundesanwaltschaft in der vergangenen Woche faßten am Donnerstag die Verteidiger der beiden Angeklagten vor dem Münchner Oberlandesgericht noch einmal ihre Sicht des Prozesses zusammen und forderten für beide Angeklagten einen Freispruch.

Beide Verteidiger hoben gegenüber dem Gericht noch einmal hervor, daß das zwei Jahre andauernde Strafverfahren auf dem vorschnellen, geradezu monströsen Vorwurf beruhe, der umstrittene Aufbau der Kosovo-Vertretung des Bundesnachrichtendienstes und dessen Balkanaufklärung seien durch einen von mehreren fremden Geheimdiensten gesteuerten Residenten durchgeführt worden. Die gleichgeschlechtliche Liebesbeziehung einer Koryphäe der Balkanaufklärung des Bundesnachrichtendienstes sei hier nach dienstinternen Kompetenzstreitigkeiten zu einer Staatsaffäre aufgebauscht worden, an der bei objektivem Blick indessen nichts dran sei.

„Die vom BND in die Welt gesetzte Story eines Super-James-Bond vom Balkan, der gleich bei drei Nachrichtendiensten und der organisierten Kriminalität angeheuert habe, ist widerlegt“ sagte Rechtsanwalt Christian Stünkel.

Der abenteuerliche Vorwurf habe beim BND und bei der Bundesanwaltschaft indessen offenbar alle Sicherungsmechanismen versagen lassen, die dazu führten, daß für ergebnisfixierte Ermittlungen offenbar fast jedes Mittel recht schien: von völkerrechtswidrigen Durchsuchungen deutscher Polizeibeamter auf fremdem Staatsgebiet, dem Verhör der Kinder des Angeklagten Anton K. ohne jede Belehrung, der Verweigerung eines Rechtsanwalts beim ersten BND-Verhör bis zur Vorbereitung der BND-Zeugen durch Weitergabe von Anklageschrift und Angeklagteneinlassung an den Geheimdienst reicht die Palette, die die Verteidiger den Ermittlern vorhalten.

Auch den Vorwurf des Betruges weist die Verteidigung zurück. Der Angeklagte Murat A. sein vom BND, wie vertraglich vereinbart und völlig angemessen bezahlt worden. Die Vorstellung, daß eine deutsche Behörde einen Dolmetscher für durchschnittlich knapp € 20 pro tatsächlicher und unregelmäßiger Einsatzstunde in einen gefährlichen Einsatz im Kosovo schicken will, müsse bei jedem unvoreingenommenen Betrachter das Gerechtigkeitsempfinden stören, sagte Rechtsanwalt Sascha Jung. Der in Deutschland aufgewachsene Angeklagte Murat A. hatte einschließlich der strittigen Zahlungen durchschnittlich € 40 pro Stunde für seine Tätigkeit erhalten. Gesetzlich sind etwa für Gerichtsdolmetscher € 55 vorgesehen, die Stundensätze vertraglicher Dolmetscher liegen weit darüber.

Das Urteil des Oberlandesgerichts ist für den 26.05.2010 angekündigt.

12.05.2010

Bundesanwaltschaft knickt in entscheidenden Anklagevorwürfen ein / Teure Blamage für Bundesnachrichtendienst

Wer von den Zuschauern im Gerichtssaal des Münchner Oberlandesgerichtes am Mittwoch erwartet hatte, daß der Vertreter der höchsten deutschen Ermittlungsbehörde, der Bundesanwaltschaft in seinem Plädoyer noch einmal die Hintergründe eines großen deutschen Verratsfalles aufrollen würde, erlitt eine herbe Enttäuschung.

Was war den Angeklagten durch BND und Bundesanwaltschaft nicht alles vorgeworfen worden. Zielstrebig sollte der Angeklagte Murat A. seinen heutigen Lebensgefährten, den Angeklagten Anton K. im Auftrag fremder Geheimdienste und der Organisierten Kriminalität in eine „Romeo-Falle“ gelockt und geheime Informationen über den Aufbau des Bundesnachrichtendienstes im Kosovo abgepreßt haben, die dieser ihm auch bereitwillig überließ. Das gesamte Quellennetz des Bundesnachrichtendienstes im Kosovo sei Murat A. und seinen angeblichen Auftraggebern auf diese Weise offenbart worden, ja es bestünde sogar die Gefahr, daß der Aufbau des Bundesnachrichtendienstes im Kosovo selbst von fremden Geheimdiensten oder der Organisierten Kriminalität gesteuert worden sei.

Viel übrig geblieben ist von dieser Verdachtskonstruktion nach der Beweisaufnahme selbst aus Sicht der Bundesanwaltschaft nicht. Diese forderte für den Angeklagten Murat A. am Mittwoch sogar einen Freispruch hinsichtlich des von ihr erhobenen Vorwurfs angeblichen Auskundschaftens von Staatsgeheimnissen. Doch auch vom Vorwurf, der Angeklagte Anton K. habe seinem Dolmetscher das gesamte BND-Quellennetz offenbart war im Plädoyer der Bundesanwaltschaft keine Rede mehr. Und fallen gelassen wurde schließlich der Vorwurf, der Angeklagte Anton K. habe geheime Daten aus seinem geschützten Dienstrechner kopiert und an den Angeklagten Murat A. weitergegeben.

Eine Verurteilung des Angeklagten Anton K. wünscht die Bundesanwaltschaft indessen dennoch wegen angeblicher Verletzung von Dienstgeheimnissen, weil er sechs dienstliche Honorarabrechnungen in seiner Wohnung habe liegen lassen, aus welchen aufgrund verwendeter Abkürzungen wie „NDV“ ein nachrichtendienstlicher Hintergrund habe geschlossen werden können und, weil ein Zeuge ausgesagt habe, Anton K. hätte ihm schon lange offenbart, daß er seinem Dolmetscher mitgeteilt habe, daß er eigentlich für den BND arbeite, was beide Angeklagte indessen bestreiten.

Eine Verurteilung des Angeklagten Anton K. wegen Offenbarens eines Staatsgeheimnisses wünscht die Bundesanwaltschaft, weil dieser seinem Dolmetscher für weitere Recherchen für seinen Dienstherrn ein angeblich als Staatsgeheimnis einzustufendes ‚i2-Chart‘ über extremistische Strukturen gezeigt habe, das ihm von einem britischen Nachrichtendienstmitarbeiter übergeben worden war und wodurch zweifelsohne eine schwere Gefahr für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland entstanden sei.

Eine Verurteilung beider Angeklagter wünscht die Bundesanwaltschaft schließlich wegen Betruges, weil der BND dem Dolmetscher für seine Dienste nicht nur durchschnittlich 20 € pro Einsatzstunde, sondern zusätzlich noch täglich € 100, d.h. für 143 Einsatztage in mehr als zwei Jahren noch € 14.300 als ‚Verdienstausfall‘ gezahlt habe, auf die dieser aber mangels anderweitiger Beschäftigung keinen Anspruch gehabt hätte. Um diesen Betrag hätten sich beide Angeklagte auf Staatskosten ungerechtfertigt bereichert.

Hatte sich das Gericht in den vergangenen Wochen weiter ausführlich mit dem weiteren Vorwurf der Bundesanwaltschaft beschäftigen müssen, der Angeklagte Murat A. habe Flugkosten stets gleichbleibend mit einen Pauschalbetrag von € 450 abgerechnet, während der Dolmetscher aber mit Charterflügen tatsächlich nur etwas mehr als € 300,00 bezahlt haben könnte, spielte auch dieser Vorwurf im Plädoyer der Bundesanwaltschaft keine Rolle mehr.

Auch dem unbefangenen Zuhörer drängte sich während des dreistündigen Plädoyers der Eindruck auf, daß der Vorwurf des Abrechnungsbetruges, mit der von der Bundesanwaltschaft angeprangerten Gier und Unglaubwürdigkeit beider Angeklagter, sei der Hauptvorwurf, um den es sich in diesem Verfahren eigentlich drehe. ‚Leichte Kost‘, welche die Richter des Oberlandesgerichts nicht oft vorgesetzt bekommen mögen, beschäftigen sie sich wie auch die Vertreter der Bundesanwaltschaft doch sonst mit der Ahndung schwerer Terrorismus- und Staatschutzdelikte, während der Vorwurf von Betrug und Untreue in erster Instanz üblicherweise vor dem Amtsgericht verhandelt wird.

Mehr als zwei Jahre dauert das Strafverfahren gegen beide Angeklagte nun an; zwei Jahre, in denen Bundesanwaltschaft und Bundeskriminalamt aufwendig ermittelten, in denen die Angeklagten mehr als einen Monat anerkanntermaßen rechtswidrig in Untersuchungshaft verbrachten, der Angeklagte Anton K. trotz seiner Beamtenbezüge vom Dienst suspendiert keiner dienstlichen Tätigkeit nachgehen darf und schließlich drei Richter des Oberlandesgerichts, zwei Vertreter der Bundesanwaltschaft und zwei Rechtsanwälte an knapp 30 Verhandlungstagen den Sachverhalt mit zahlreichen Internas des Bundesnachrichtendienstes vor der Öffentlichkeit aufrollten. Die gesamten in zwei Jahren angefallenen Kosten der Ermittlungen mit einer Million Euro zu beziffern, dürfte nicht zu hoch gegriffen sein.

Vielleicht rechtfertigt dies die nach Maßgabe des Vortrages der sonst mit schwereren Delikten befaßten Bundesanwaltschaft sehr hochgeschraubten Strafforderungen von 2 Jahren und 10 Monaten für den Angeklagten Anton K. und einem Jahr mit Bewährung für den Angeklagten Murat A. Am 20.05.2010 wird der Prozeß mit den Plädoyers der Verteidigung fortgesetzt.

05.05..2010

Ende der Beweisaufnahme / Streit um sprichwörtlichen „silbernen Löffel“ / Täuschung und Verhör hinter den Mauern des Geheimdienstes

Die Verhandlungen im seit November vergangenen Jahres dauernden Münchener BND-Prozess scheinen nunmehr endgültig zu ihrem Abschluss zu kommen. Für den nächsten Sitzungstag am 12.05.2010 sind sowohl das formelle Ende der Beweisaufnahme als auch das Plädoyer der Bundesanwaltschaft angekündigt, dem dann am 20.05.2010 die Plädoyers der Verteidigung und am 26.05.2010 schließlich die Urteilsverkündung folgen sollen.

Am letzten Prozeßtag sorgte die Bundesanwaltschaft zuvor einmal mehr für entnervte Gesichter, als diese am 26. Hauptverhandlungstag plötzlich die Einvernahme weiterer Zeugen beantragte, auf die sie nach einem Hinweis des Gerichts über die vermutliche Belanglosigkeit des Beweisthemas dann schließlich aber doch verzichtete.

Bis dahin hatten sich die Verhandlungen über Wochen wie Gummi hingezogen, weil die Bundesanwaltschaft nach vier Monaten plötzlich einen neuen Betrugsvorwurf „aus dem Hut zauberte“, der in ihrer Anklageschrift noch nicht erhoben worden war, wonach sie den Angeklagten zur Last legt, sie hätten die Reisekosten des Angeklagten Murat A. für seine insgesamt 18 Einsatzzeiträume in mehr als zwei Jahren überhöht, ohne Einreichung von Belegen in stets gleich bleibender Höhe von € 450,00 abgerechnet, während der Dolmetscher aber mit Charterflügen tatsächlich nur etwas mehr als € 300,00 bezahlt haben könnte. Die Verteidigung hielt dem entgegen, daß schon die über Jahre gleichbleibende Summe und die gleichbleibende Nichteinreichung von Belegen für eine Pauschalabrechnung, in Kenntnis der Vorgesetzen und Abrechnungsstelle, spräche und außerdem weder Fahrtkosten vom noch Fahrtkosten zu den Flughäfen geltend gemacht worden waren. Gleichwohl drang die Bundesanwaltschaft darauf, den Vorwurf an mehreren Verhandlungstagen mit mehreren teilweise aus dem Ausland beizuladenden Zeugen auszuermitteln. Ein Aufwand, der einen Prozeßzuschauer in Anbetracht des in Rede stehenden Minischadens von allenfalls ein paar hundert Euro in einer Verhandlungspause zu der sarkastischen Bemerkung veranlaßte, man müsse wohl damit rechnen, daß schließlich auch noch das sprichwörtliche Fehlen eines silbernen Löffels in der BND-Kantine festgestellt und in diesen Prozeß eingeführt würde, um den Angeklagten Anton K. aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen.

Klarheit über die Verantwortlichkeiten im BND brachte auch die Beweisaufnahme zu diesem Komplex letztlich, weil auch insoweit die einvernommen Beamten bemerkenswerte Erinnerungslücken hatten. So mußte „die Kostenstelle“ des BND nach Aussage eines BND-Zeugen angeblich alle Belege für Auszahlungen prüfen, hat dies, da pauschal und ohne Anforderung von Belegen abgerechnet wurde, indessen über mehr als zwei Jahre in keinem einzigen Fall getan. Wer hier konkret zuständig war, konnte der Zeuge indessen nicht mitteilen, weil dies nicht von seiner Aussagegenehmigung gedeckt sei. Geradezu skurril mutete der Versuch an, die eigene Verantwortung dadurch zu relativieren indem ein BND-Zeuge ernsthaft betonte, er habe als Vorgesetzter die zu genehmigenden Abrechnungen ja nur mit seiner „Paraphe“ und nicht mit seiner Unterschrift versehen. Das sei ein entscheidender Unterschied.

Die Verteidigung legte gegenüber derartigen Skurrilitäten einmal mehr den Finger in die Wunde der skandalös rechtsstaatswidrigen und schludrigen Ermittlungsmethoden.

Aufgrund des durch den Bundesnachrichtendienst nach Offenbarwerden der gleichgeschlechtlichen Beziehung zwischen den beiden Angeklagten im März 2008 letztlich ohne belastbare Fakten gegenüber den Ermittlungsbehörden erweckten Eindrucks, der Aufbau der BND-Residentur könnte durch einen fremden Geheimdienst gesteuert worden sein, hatten diese die Wohnung des Residenten im Kosovo durch deutsche Beamte durchsuchen lassen. Ein deutscher Polizeieinsatz in einem fremden Hoheitsgebiet, an dem auch der BND gleich selbst noch mit teilnahm und über den die kosovarischen und UNMIK-Behörden nicht einmal informiert wurden. Ein Vorgehen in „Wild-West-Manier“, das letztlich wohl nur durch den Erfolgsdruck zu erklären ist unter dem die Ermittlungsbehörden damals angesichts des grotesken Vorwurfs standen.

Hervorgehoben wurde durch die Verteidigung auch noch einmal der Umstand, daß der Angeklagte Anton K. durch den BND mittels einer Täuschung über den eigentlichen Zweck seiner Einbestellung nach Deutschland gelockt und hinter den Mauern der Pullacher Zentrale am 17.03.2008 zunächst durch Geheimdienstbeamte verhört worden war, obwohl auf Veranlassung des BND bereits seit dem 13.03.2008 ein Ermittlungsverfahren des Generalbundesanwalts wegen angeblicher geheimdienstlicher Agententätigkeit mit durchgängiger Überwachung des Angeklagten und Vorbereitung von Durchsuchungen sowie der unmittelbar folgenden Festnahme gegen ihn lief. Daß der BND sein Verhör zuvor auch der Bundesanwaltschaft avisiert hatte, spricht für eine vorsätzliche Umgehung der strafprozessualen Belehrungsvorschriften zum Zecke der Gewinnung nur vermuteter Erkenntnisse, jedenfalls aber für einen klaren Verstoß gegen das Recht auf ein faires Ermittlungsverfahren nach Art 6 der Menschenrechtskonvention. Daß das Geheimdienst-Verhör des Angeklagten nicht einmal abgebrochen wurde, als der Angeklagte einen Anwalt sprechen wollte und man ihm vielmehr nur beschied, dies könne er später nach dem Verhör gerne tun, setzt dem Vorgang nur noch eine weitere unrühmliche Krone auf. Die Aussagen der zu diesen Punkten vernommenen BND-Untersuchungsführerin blieben einmal mehr erstaunlich unklar, bis ihr von der Verteidigung die insoweit klaren Ermittlungsakten vorgehalten wurden. Sowohl Geheimdienstbeamte als auch die Bundesanwaltschaft hatten den Angeklagten bei den ersten Vernehmungen unter Druck gesetzt, er käme aus der Sache nur wieder heraus, wenn er vollständig mit den Behörden zusammenarbeite und offen lege, wie und zu was sein gleichgeschlechtlicher Lebensgefährte und der unbekannte Geheimdienst ihn verführt und erpreßt hätten.

Bei der Einvernahme der BND-Untersuchungsführerin wurde indessen weiter deutlich, dass das Ermittlungsinteresse zumindest des BND nach Ablösung des Angeklagten Anton K. als Resident ersichtlich erlahmte und offenbar kein gesteigertes Bedürfnis nach tatsächlich vollständiger Aufklärung mehr vorhanden war. Anders ist es jedenfalls für die Verteidigung nicht zu erklären, warum im BND trotz des horrenden Vorwurfs, die Balkan-Aufklärung des deutschen Auslandsgeheimdienstes sei durch einen unbekannten feindlichen Geheimdienst mitgesteuert und im Kosovo sogar aufgebaut worden, weder die dienstlichen Unterlagen des Angeklagten Anton K., noch die Daten dessen Dienstrechners forensisch korrekt gesichert, sondern durch den Nachfolger des Angeklagten einfach weitergeführt wurden, als sei nichts geschehen. Ein Umstand, der besonders dem Angeklagten Anton K. seine Verteidigung massiv erschwert, weil sich alle Unterlagen über seine Tätigkeit in der Verfügungsgewalt der Pullacher Geheim-Behörde befinden, auf die er seit seiner Ablösung als Resident keinerlei Zugriff mehr hat. Das hieraus ein völlige, für die Verteidigung nicht kontrollierbare Übermacht von BND und Anklagebehörde resultiert liegt auf der Hand. Wie der Prozess mehrfach zeigte, waren BND-Zeugen vor ihren Aussagen bis ins Detail über Anklageschrift, Prozeßverlauf und die Einlassungen der Angeklagten informiert worden, die im BND sogar Gegenstand interner Dienstbesprechungen waren …

30.03.2010

Anhörung geheimer Abhörprotokolle / Verlesung von Dienstzeugnissen / Hinweise des Gerichts / Angeklagte „verraten und verkauft“

Mehrfach waren zwischenzeitlich geheime Abhörprotokolle der Bundesanwaltschaft Gegenstand der Hauptverhandlung, mit denen die Bundesanwaltschaft beweisen will, daß der Angeklagte Murat A. nach der ersten Verhaftung in Telefongesprächen seine Verwandten vor Ort gewarnt hätte, ihn keinesfalls anzurufen.

Während Verteidiger Christian Stünkel klarstellte, daß es seinem Mandanten bei seinen Anrufen allein darum gegangen sei, seine Familienmitglieder nicht unnötig in die Angelegenheiten hineinzuziehen, sollen die Anrufe nach Auffassung der Bundesanwaltschaft offenbar belegen, daß Murat A. wahlweise Mitarbeiter der Organisierten Kriminalität oder anderer Geheimdienste war, weil „Warnanrufe“ sonst nicht nötig gewesen wären. Bei der Übersetzung der albanischen Aufzeichnungen in der Verhandlung wurde nach Auffassung der Verteidigung deutlich, daß durch den Dolmetscher des BKA bei mehreren Übersetzungsmöglichkeiten jeweils die dramatischste gewählt worden war, so daß die Aufforderung, nicht anzurufen in Ermittlungen und Haftanträgen zugrunde liegenden Fassungen besonders eindringlich wirkte.

Die Verteidigung wies dagegen darauf hin, daß sich aus einem durch das Bundeskriminalamt abgehörten Gespräch zwischen beiden Angeklagten ergäbe, daß diese sich nach Konfrontation mit dem Vorwurf des Landesverrats mehr Gedanken um die nun offenliegende, nicht gemeldete gleichgeschlechtliche Beziehung machten, als den erhobenen Strafvorwurf. Das Gespräch war unmittelbar nach einem Geheimdienstverhör des Angeklagten Anton K. in der Pullacher BND-Zentrale am 17.03.2008 erfolgt, bei dem die dortige Untersuchungsführerin den offenbarten Landesverratsvorwurf erhoben hatte. Die Einschaltung eines Anwalts hielten die Angeklagten, wie sich aus dem Gespräch ergibt, damals trotz des monströsen Vorwurfs für unnötig. Das änderte sich erst, als das bereits wartende Bundeskriminalamt zuschlug und beide Angeklagte filmreif verhaftete.

Für die Verteidigung wird hier einmal mehr deutlich, daß es den Behörden weniger um die Ermittlung der Wahrheit, als darum ging, möglichst irgendeinen Nachweis für die eigene Verschwörungstheorie zu finden. Denn, daß der Angeklagte im Geheimdienstverhör über sein Recht zu schweigen nicht belehrt worden war, obwohl auf Veranlassung des BND ein Ermittlungsverfahren beim Generalbundesanwalt bereits eingeleitet und dessen Vertreter zur Durchführung der Verhaftung bereits vor Ort in Pullach waren, ruft bei den Verteidigern unter den zahlreichen weiteren Regelverstößen kaum noch Verwunderung hervor.

Bei der Verlesung von Dienstzeugnissen des Angeklagten Anton K. wurde einmal mehr deutlich, wie seine Vorgesetzten ihn einschätzten: „Anton K. hat ein beeindruckendes Organisationstalent. Mängel der Aufbau- und Ablauforganisation werden mit Engagement gemildert und durch Improvisation überspielt.“ Der richtige Mann für den politisch pikanten Aufbau einer BND-Residentur in schwierigstem Umfeld, in einem Krisengebiet, das wie ein Zeuge sagte „keinerlei Freizeitwert“ habe und wo Beamte aus Pullach deshalb auch ungern eingesetzt werden.

Unterdessen hat das Gericht mit einem rechtlichen Hinweis deutlich gemacht, daß auch eine Verurteilung wegen eines weit weniger schwer wiegenden Delikts als dem des dem Ermittlungsverfahren zugrunde liegenden Landesverrats möglich erscheine. Nämlich wegen Verletzung von Dienstgeheimnissen, soweit der Angeklagte Anton K. seinen Dolmetscher Murat A. zu flexibel für eigene Informationsgewinnung genutzt habe.

Auch hinsichtlich des vorgeworfenen Abrechnungsbetruges machte das Gericht deutlich, daß es den Sachverhalt anders bewerten könnte, als die Bundesanwaltschaft. Von dieser wird den Angeklagten vorgeworfen, sich zusätzlich zum Jahresnettogehalt des Angeklagten Anton K. in Höhe von knapp € 90.000 in einem Zeitraum von mehr als zwei Jahren noch insgesamt € 14.000 durch Abrechnung von Verdienstausfall für den Angeklagten Murat A. erschlichen zu haben, obwohl dieser neben seiner Dolmetschertätigkeit keinen anderweitigen Verdienst mehr gehabt hätte und mit knapp € 20 pro Stunde für die unregelmäßigen Einsätze ausreichend vergütet gewesen sei. Was nach Auffassung der Bundesanwaltschaft einen gemeinschaftlichen Betrug oder einen Betrug zugunsten Dritter darstellt, nach Auffassung des Angeklagten Anton K. nichts anderes als die Zahlung von seinem Dolmetscher aufgrund mündlicher Vereinbarung geschuldeter Beträge ist, könnte das Gericht, so ein Hinweis, im Falle des Angeklagten Murat A. auch als leichtfertige Geldwäsche werten, weil er hätte erkennen müssen, daß die Beträge aus einem Betrug seines Chefs zu seinen Gunsten stammten ...

Doch auch Verständnis gibt es für den Angeklagten Anton K. Wenn nicht von Seiten der Bundesanwaltschaft und ehemaliger Vorgesetzter, so doch von ehemaligen Kollegen im BND, die „den Laden in- und auswendig“ und wissen, wie man in dieser Behörde offenbar nicht nur vereinzelt „mit Mitarbeitern umgeht“. Sie äußern gegenüber der Verteidigung deshalb Verständnis für den Angeklagten und können nachvollziehen „wie verraten und verkauft“ sich der Angeklagte aufgrund des Umgangs mit ihm fühlen muß.

25.03.2010

Umfassende Vernehmung des ehemaligen BND-Residenten Anton K. / weiterer Vorgesetzter sagt aus / vorgesetzte Dienststelle in Pullach war „ziemlich verludert“

In einer zeitweisen ungewöhnlich hart durchgeführten Vernehmung stand der Angeklagte Anton K. dem Gericht in der laufenden Verhandlung unmittelbar Rede und Antwort.

Dabei wurde deutlich, daß es dem Gericht ersichtlich schwer fällt, die konkreten Umstände der Residenturgründung und die insoweit mündlich getroffenen Absprachen zu ergründen und nachzuvollziehen. Ein BND-Zeuge sagte hierzu aus, daß das damals „wie im ‚Wilden Westen‘“ ablief und man im BND „für jede Splitterinformation dankbar“ war. Der Angeklagte Anton K. hätte sich zu dieser Zeit mit den vielen von ihm beschafften Informationen sehr verdient gemacht. Ein anderer BND-Zeuge gab an, daß die damaligen Vorgesetzten „alles genehmigt“ hätten, was der Angeklagte Anton K. im Rahmen des Residenturaufbaus wollte. Ein weiterer ehemaliger Vorgesetzter urteilte klipp und klar, daß die Dienststelle, die den Angeklagten in Pullach führte, damals „ziemlich verludert“ gewesen sei, weshalb ein neuer Vorgesetzter damit beauftragt war, diese wieder so zu organisieren, wie man das erwartet habe.

Dennoch soll es dem Angeklagten nun zum Verhängnis werden, daß mit seinem Dolmetscher, dem Angeklagten Murat A. nie ein schriftlicher Vertrag geschlossen und unter diesen Umständen alle Absprachen im BND nur mündlich getroffen worden waren. Der Angeklagte könne seine Aussagen bisher nicht beweisen, sagt das Gericht. Für die Bundesanwaltschaft scheint der Fall klar zu sein: Der Angeklagte Anton K. hat seinem Dolmetscher durch unberechtigte Verdienstausfallzahlungen über zwei Jahre bei den unregelmäßigen Übersetzungseinsätzen eine Vergütung von insgesamt € 40 pro Stunde unrechtmäßig zugeschanzt, während die Dolmetschereinsätze mit knapp € 20 pro Stunde ausreichend vergütet gewesen wären und kein Anspruch auf Verdienstausfall bestanden hätte. Die Entfernung aus dem Dienst und mehr als zwei Jahr hinter Gittern, ist das, was dem Angeklagten Anton K. droht. Dieser verteidigt sich damit, daß die Zahlungen von Anfang an als Entgelt abgesprochen gewesen seien, weil allen klar war, daß man für 20 € die Stunde keinen Dolmetscher von Deutschland in den Kosovo bekommt.

10.03.2010

Weitere Erklärung des Angeklagten Anton K. / Bundesanwaltschaft rechtfertigt Vorab-Information von BND-Zeugin / Strafrechtliche Beurteilung mit Geheimdienstblick

Die von der Verteidigung beanstandete Präparierung der wichtigsten BND-Belastungszeugin mit der Einlassung des Angeklagten Anton K. durch die Bundesanwaltschaft belastet weiter das Klima zwischen den Prozeßbeteiligten. Die Bundesanwaltschaft rechtfertigte ihr Vorgehen am Beginn der Verhandlung mit Zweckmäßigkeitserwägungen. Die Regeln nach denen Zeugen möglichst uninformiert über den Inhalt der Hauptverhandlung einvernommen werden und den Sitzungssaal vor ihrer Aussage verlassen sollten, seien bloße Ordnungsvorschriften, welche die Bundesanwaltschaft jedenfalls nicht verpflichten würden. Ein Rechtsverstoß sei insoweit deshalb nicht erkennbar. Mittlerweile ist im Rahmen der Befragung eines Zeugen weiter bekannt geworden, daß auch die in wesentlichen Teilen geheime Anklageschrift offenbar im BND zirkuliert und zumindest vor der Einvernahme eines Zeugen Gegenstand einer Dienstbesprechung war. Der Prozess ist nach Auffassung der Verteidigung mit diesen Enthüllungen endgültig zur Farce geworden, die Aussagen der BND-Zeugen bei dieser Art von Verschränkung zwischen BND und Bundesanwaltschaft schlicht wertlos.

Mit einer erneuten Einlassung nahm der Angeklagte Anton K. zu im Laufe des Verfahrens aufgetretenen Fragen Stellung.

Nachdem das Oberlandesgericht für die Einvernahme des letzten direkten Vorgesetzten des Angeklagten Anton K. einmal mehr die Öffentlichkeit von der Verhandlung ausgeschlossen hat, gab die Einvernahme eines ehemaligen Residentenkollegen den Blick frei auf die Wahrnehmungsmethoden von Geheimdienstagenten. Die modische Kombination der Farben schwarz und rot, das Tragen kurzer oder langer Haare und das Hören serbisch-sakraler Musik als Indizien für eine Doppelagententätigkeit, gaben den Prozeßbeteiligten genauso Rätsel auf, wie die Bedeutung von Strichen auf einem Bierdeckel. Die Einvernahme des Zeugen machte ein Kernproblem der Anklagekonstruktion im laufenden Verfahren deutlich: Geheimdienstliche Maßstäbe sind für die Beurteilung von Indizien im Strafprozeß schlicht ungeeignet, hier öffnen sie der Spekulation zu Lasten der Angeklagten nämlich Tür und Tor.

04.03.2010

Eklat zwischen Bundesanwaltschaft und Verteidigung / BND-Zeugin mit Einlassung des Angeklagten Anton K. präpariert / Einvernahme ehemaliger Kollegen

Im laufenden Prozeß sind der ehemalige Bürosachbearbeiter des Angeklagten Anton K. und dessen Nachfolger im Amt als Resident des Bundesnachrichtendienstes in Prishtina einvernommen worden. Hierbei zeigte sich einmal mehr der Schatten, den die Geschlossenheit der Behörde in Pullach auf das Verfahren wirft. Während nach wie vor im BND tätige Kollegen den Angeklagten Anton K. mit ihren Aussagen belasten, scheint ihr Erinnerungsvermögen regelmäßig dann auszusetzen, wenn die Verteidigung eigene Pflichtverletzungen und eigene Verantwortung in den Fokus rückt.

Die Angeklagten haben insoweit ersichtlich einen äußerst schweren Stand in ihrer Verteidigung, weil nahezu alle Zeugen aus der Pullacher Geheim-Behörde mit ihren behördeninternen Loyalitäten stammen, während der Angeklagte Anton K. (seit zwei Jahren vom Dienst suspendiert) insoweit noch nicht einmal Zugang zu dienstlichen Unterlagen hat, geschweige denn nicht in die BND-Strukturen eingebundene Zeugen benennen kann, weil diese aufgrund des geheimen Milieus schlicht nicht existieren.

Zu einem Eklat zwischen Verteidigung und Bundesanwaltschaft kam es deshalb, als deren wichtigste Belastungszeugin auch noch bekundete, daß sie vor ihrer Zeugenaussage durch die Bundesanwaltschaft vorab die detaillierte Einlassung des Angeklagten Anton K. erhalten habe. Die Verteidigung widersprach daher der Verwertung ihrer Aussagen, weil diese aufgrund der offensichtlichen engen Verschränkung von BND und Bundesanwaltschaft völlig unbrauchbar sei und nicht den Grundsätzen eines fairen Strafverfahrens entspräche. Die Staatsanwaltschaft selbst hätte im Strafprozess darauf zu achten, daß Zeugen vor ihrer Einvernahme den Sitzungssaal verließen und nicht durch andere Zuhörer über den Gang der Verhandlung informiert würden. Wenn die Bundesanwaltschaft die BND-Zeugen aber auch noch selbst informiere, werde deren Einvernahme letztlich zu Farce.

Die Aussage verweigert haben im Verfahren die geschiedene Ehefrau des Angeklagten Anton K. und seine Kinder. Diese waren im Ermittlungsverfahren durch das BKA vernommen worden, ohne daß sie durch die Beamten über ihr Recht zur Zeugnisverweigerung aufgeklärt worden waren. Dieser Umstand war durch die Verteidigung ebenfalls bereits gerügt und einer Verwertung der so erzielten Vernehmungsinhalte widersprochen worden.

25.02.2010

Aufhebung des Schweigegebots / Einvernahme ehemaliger Vorgesetzter / Streit um richtige Vorgehensweise bei Dolmetschereinsatz

Das Oberlandesgericht München hat ein nach Vernehmung eines geheimen BND-Zeugen über dessen Aussage verhängtes Schweigegebot wieder aufgehoben, nachdem die Verteidigung dies als ungerechtfertigten Eingriff in die Verfahrens- und Grundrechte von Angeklagten und Verteidigern kritisiert und entsprechend Verfassungsbeschwerde erhoben hatte.

Weiter wurden in öffentlicher Verhandlung vier ehemalige Vorgesetzte des Angeklagten Anton K. vernommen, um insbesondere Licht in das Dunkel über die Verantwortlichkeiten bei der Einstellung des Mitangeklagten Dolmetschers Murat A. zu bringen, aber auch um die schwierigen Umstände des Residenturaufbaus zu beleuchten. Dies ist nach Auffassung der Verteidigung nicht gelungen, weil die Zeugen auch die Verantwortung über die Festlegung des Umfangs und der Überprüfung der Vergütung des Angeklagten Murat A. hin und her schoben.

Widersprüchlich wurde weiter die Frage des Dolmetschereinsatzes beurteilt. Ein Kernvorwurf von Anklage und letztem Vorgesetzten des Angeklagten Anton K. besteht darin, daß er seinen Dolmetscher, den Mitangeklagten Murat A., bei unter Botschaftslegende geführten Gesprächen nicht ausgewechselt und ihm damit fast sein gesamtes Quellennetz offenbart habe. Der Angeklagte Anton K. hält dem entgegen, daß er diese Quellen von Anfang an unter Einsatz seines Dolmetschers erst aufgebaut habe, wofür genauso, wie für die Verstetigung der Kontakte gerade das dauerhafte Vertrauensverhältnis zwischen Gesprächspartner, Dolmetscher und ihm erforderlich gewesen wäre. Bis auf den letzten direkten Vorgesetzten des Angeklagten Anton K. haben alle Vorgesetzten bestätigt, daß dessen Leistungsausweis in der Abteilung weit überdurchschnittlich war. Zwischenzeitlich aus dem BND ausgeschiedene Vorgesetzte bekundeten nun, es gäbe letztlich zwei Auffassungen hinsichtlich des Einsatzes von Dolmetschern, indessen keine absolut richtige Vorgehensweise. Zwischen sich gegenüberstehenden Sicherheitsinteressen und dem Zweck, möglichst umfassender Erkenntnisgewinnung sei abzuwägen, so daß bei einem besonderen Vertrauensverhältnis auch der Einsatz nur eines Dolmetschers gerechtfertigt sein könne. Der Angeklagte Anton K. hat stets geltend gemacht, daß seine Führungsstelle stets vorab und in jedem Einzelfall über den Einsatz des Mitangeklagten Murat A. informiert war und kein Verbot des Einsatzes erfolgte. Die Auffassung, daß nur der ständige Wechsel von Dolmetschern sachgerecht ist, soll dem Angeklagten Anton K. nun zum Verhängnis werden.

28.01.2010

Verfassungsbeschwerde wegen „Maulkorb-Erlaß“/ Vorläufige Unterbrechung wegen Erkrankung / Verteidigung wirft Ermittlungsbehörden Schikanen vor

Im Termin vom 22.12.2009 hatte das Gericht ohne vorhergehenden Antrag allen Prozeßbeteiligten Schweigen hinsichtlich der Aussage eines BND-Zeugen auferlegt, wobei ein Verstoß hiergegen auch strafrechtlich sanktioniert werden kann. Dieser Beschluß beschäftigt auf Betreiben der Verteidigung nun auch das Bundesverfassungsgericht. Da das Schweigegebot nicht konkret gefaßt sei, sondern pauschal die gesamte Aussage des Geheim-Zeugen betreffe, schränke es die Verteidigung der Angeklagten unzulässig ein. Schon der Termin vom 07.01.2010 zeige dies exemplarisch, als sich die Verteidigung gezwungen sah, eine Stellungnahme vor ihrer Verlesung im Saal, dem Gericht zur Prüfung vorzulegen. Rechtsanwalt Christian Stünkel sprach deshalb von einem mit der „Strafrechts-Keule“ bewehrten „Maulkorb-Erlaß“, der gegen Verfahrens- und Grundrechte von Angeklagten und Verteidigern verstoße.

Wegen einer schweren Erkrankung des Angeklagten Anton K. hat das Gericht die weitere Verhandlung nun bis Mitte Februar unterbrochen, damit dieser genesen kann. Zuvor hatte der Angeklagte Anton K. dieses Vorgehen ermöglicht, weil er über seinen Verteidiger Rechtsanwalt Sascha Jung ausdrücklich erklären ließ, daß er keine Verzögerung des Verfahrens wolle und deshalb nur seinen Lebenspartner Murat A. betreffende Urkunden auch in seiner Abwesenheit verlesen werden könnten. Das Gericht hätte sonst die Verhandlung aussetzen und zu einem späteren Zeitpunkt mit dem Prozess neu beginnen müssen.

Unrühmlich traten in diesem Zusammenhang indessen einmal mehr die Ermittlungsbehörden hervor, denen die Erkrankung des Angeklagten Anlaß für eine weitere Einschüchterungsmaßnahme bot. Offenbar auf Betreiben der Bundesanwaltschaft waren beide Angeklagte auf ihrem kurzen Weg von der gemeinsamen Wohnung zum Amtsarzt verfolgt worden. Der Mitangeklagte Murat A. hatte seinen kranken Lebensgefährten in dessen Auto zum gerichtlich verfügten Untersuchungstermin bei der Staatsanwaltschaft gebracht, wo beide ein paar hundert Meter vor ihrem Ziel indessen durch ein Polizeieinsatzkommando gestoppt wurden. Nachdem ein Beamter Murat A., der nach seiner mazedonischen Fahrerlaubnis suchte, angeherrscht hatte, „ich weiß genau, daß sie keinen deutschen Führerschein haben“ und sodann Fahrzeugschlüssel und Auto kurzerhand konfiszierte, war klar, daß diese Aktion kein Zufall war. Anton K. ließen die Beamten derweil in der Kälte stehen, bevor es dann doch noch zum Amtsarzt ging, der den Patienten nach seiner Diagnose mit einem Krankenwagen ins Bett nach Hause schickte. Die Verteidiger warfen der Bundesanwaltschaft vor, daß dies ein weiteres Beispiel für unzulässige Schikanen sei, mit der die Angeklagten seit nunmehr zwei Jahren überzogen würden. Diese reichten von permanenter Überwachung, über solch „zufällige“ Polizeikontrollen bis hin zur rechtswidrigen Inhaftierung. Die Haft im Frühjahr des vergangenen Jahres hatte ein BKA-Beamter bezeichnenderweise dazu ausgenutzt, den Angeklagten Anton K. über ein Familienmitglied psychisch unter Druck zu setzen; wenn der Angeklagte den ihm vorgeworfenen Landesverrat gestehen würde, wäre er schnell wieder frei und hätte nur eine ganz geringe Strafe zu erwarten. Dies sei mit dem Bundesanwalt alles schon abgesprochen. Auf die Beschwerde der Verteidiger hob der Bundesgerichtshof die rechtswidrige Haft damals schließlich auf und verfügte die sofortige Freilassung der Angeklagten. Am 12.02.2010 wird der Prozeß fortgesetzt.

07.01.2010

Verstoß gegen Belehrungspflichten / Verteidigung widerspricht der Verwertung einer BKA-Befragung von Kindern des Angeklagten

Mit der Einvernahme einer weiteren im Strafverfahren ermittelnden BKA-Beamtin wurde die Hauptverhandlung im neuen Jahr fortgesetzt, bei der diese unter anderem über die durch sie durchgeführte Befragung der minderjährigen Kinder von Anton K. aussagte.

Das Recht von Familienmitgliedern in Strafverfahren gegen nahe Angehörige nicht aussagen zu müssen und die korrespondierende Pflicht der ermittelnden Behörden hierüber zu belehren, ist einer der wesentlichsten Grundsätze des deutschen Strafprozeßrechtes. Dies gilt selbstverständlich auch im Falle minderjähriger Kinder. Weil die unmittelbar im Zusammenhang mit der Verhaftung der Angeklagten im März 2008 vorgenommene Befragung der Kinder des Angeklagten Anton K. durch die Beamten der obersten deutschen Ermittlungsbehörde indessen unter Verstoß gegen diesen Grundsatz erfolgte, komme eine Verwertung der diesbezüglichen Aussagen der Zeugin nicht in Betracht, sagten die Verteidiger Christian Stünkel und Sascha Jung zur Begründung des durch sie insoweit eingelegten Widerspruchs. Für die Verteidigung verdeutlicht das Vorgehen des BKA erneut, daß im Ermittlungsverfahren ergebnisfixiert vorgegangen wurde, weshalb nicht nur entlastende Ermittlungsspuren und naheliegende Parallelerklärungen unter den Tisch fielen, sondern auch Verfahrensverstöße unterliefen. All dies überschattet und belastet nun leider auch die Wahrheitsfindung in der Hauptverhandlung. Zur Klärung der Frage der Verteidigung, welche seelischen Auswirkungen es bei den minderjährigen Kindern hinterlassen hatte, daß sie zum Zeitpunkt der Verhaftung ihres Vaters durch den Bundesnachrichtendienst an einen geheimen Ort im Bayerischen Wald verbracht worden waren, konnte die Zeugin nicht beigetragen.

Im weiteren Verlauf des Verhandlungstages bekundete eine frühere Personalleiterin des Angeklagten Murat A., daß dieser im Rahmen seines beruflichen Werdegangs als Call-Agent auf Deutsch telefonische Kundengespräche durchgeführt habe, wofür entgegen der pauschalen und herabsetzenden Behauptung einer BND-Zeugin, die dem Angeklagten ohne mit ihm gesprochen zu haben „leidliche“ Deutschkenntnisse bescheinigt hatte, wohl eher hervorragende Sprachfähigkeiten im Deutschen erforderlich waren. Am 20.01.2010 wird der Prozeß fortgesetzt.

22.12.2009

Hypothesen führten zur Abgabe an Generalbundesanwalt / Öffentlichkeit vom Prozeß ausgeschlossen / Zerwürfnis mit Vorgesetztem bestätigt

Die Umstände unter denen der BND im Februar 2008 interne Ermittlungen gegen den früheren Residenten Anton K. in Prishtina einleitete und schon im März 2008 die Generalbundesanwaltschaft einschaltete, standen am 21.12.2009 einmal mehr im Mittelpunkt der Hauptverhandlung. Die Anhaltspunkte die man ihr damals mitgeteilt habe und die danach für sie möglich erscheinenden belastenden hypothetischen Szenarien, hätten eine Abgabe an den Generalbundesanwalt notwendig erscheinen lassen, weil der BND im Vergleich zu den Strafverfolgungsbehörden nur über beschränkte Ermittlungsmöglichkeiten verfüge.

Am folgenden Verhandlungstag beschäftigte sich das Gericht noch einmal mit dem Ablauf der Durchsuchung der Wohnung von Anton K. in Prishtina, bevor die Öffentlichkeit auf Antrag von Bundesanwalt Wolf-Dieter Dietrich vom Prozeß ausgeschlossen wurde. Allen Beteiligten wurde ein Schweigegebot über diesen Teil der Verhandlung auferlegt, dessen Verfassungsmäßigkeit die Verteidigung beabsichtigt, zu überprüfen, da eine Beschwerde hiergegen aufgrund der Verfahrensbesonderheiten nicht zulässig ist. Die Verteidiger und die Angeklagten hatten bereits zu Beginn des Prozesses betont, daß die Affäre in vollumfänglich öffentlicher Hauptverhandlung aufgeklärt werden soll. Es bleibt abzuwarten, ob die jetzige Entscheidung ein Einzelfall bleibt.

Die zweite Zeugin des BND an diesem Tage, zu deren Vernehmung die Öffentlichkeit wieder zugelassen war, bestätigte, daß die Leistungen von Anton K. während seiner Dienstzeit überdurchschnittlich waren und, daß es zwischen Anton K. und einem seiner neuen Vorgesetzten zu ernsten Zerwürfnissen über seinen Arbeitsstil gekommen war. Am 07.01.2010 wird der Prozeß fortgesetzt.

10.12.2009

Rechtmäßigkeit der BKA-Durchsuchung in Prishtina massiv in Frage gestellt / Zweifel an Kompetenz der internationalen Gemeinschaft im Auswärtigen Amt / Rätselraten um wichtigstes Asservat

Eine Durchsuchung der Wohnung des ehemaligen BND-Residenten in Prishtina am 18.03.2008 durch das Bundeskriminalamt (BKA) stand in dieser Woche zunächst im Interesse des Münchner BND-Prozesses.

Das BKA hatte seine Exekutivmaßnahme auf fremdem Staatsgebiet nach der ersten Verhaftung der beiden Angeklagten unter möglichster Geheimhaltung durchgeführt, ohne ein völkerrechtlich vorgeschriebenes Rechtshilfeersuchen an örtliche Behörden zu richten. Laut einer Mitteilung war man im Auswärtigen Amt der Meinung, daß weder die kosovarischen Behörden, noch die professionelle Uno-Verwaltung UNMIK zu einer kurzfristigen Bearbeitung eines solchen Ersuchens in der Lage gewesen wären. Für deutliches Stirnrunzeln sorgte bei den Rechtsanwälten Sascha Jung und Christian Stünkel weiter die Tatsache, daß die Ermittlungsbehörden den Angeklagten Anton K. nicht darüber informiert hatten, daß das Auswärtige Amt dessen Zustimmung zur Bedingung für die Durchsuchungsmaßnahme gemacht hatte und weiter auch eine Beamtin des Bundesnachrichtendienstes der Durchsuchung durch die Strafverfolgungsbehörden beiwohnte. „No risk, no fun“ kommentierte Bundesanwalt Wolf-Dieter Dietrich schließlich die weitere Frage der Verteidigung an den geladenen Zeugen, ob in Anbetracht der demonstrativen Sicherheitsmaßnahmen bei der Verhaftung beider Angeklagter am 17.03.2008 in München (u.a. war die Familie von Anton K. „sicherheitshalber“ an einen geheimen Ort im bayerischen Wald verbracht worden) auch vor Ort in Prishtina eine besondere Sicherung der Maßnahmen erfolgte.

Akzente setzte auch die erste Zeugin des Bundesnachrichtendienstes, die in den vergangenen anderthalb Jahren den Fall innerhalb ihrer Behörde aufgerollt hatte. Sie teilte mit, daß man Anton K. nach dem Verdacht einer gleichgeschlechtlichen Beziehung zu seinem Dolmetscher vom BND im Kosovo mit nachrichtendienstlichen Mitteln überwacht habe und vermittelte durch ihre einseitigen Wertungen dann ein möglichst unvorteilhaftes Bild beider Angeklagter. Obwohl sie mit Murat. A bisher kein einziges Wort gewechselt hatte, ließ sie es sich nicht nehmen, dem mitangeklagten Dolmetscher in einem herablassenden Nebensatz „leidliche Deutsch- und Albanisch-Kenntnisse“ zu bescheiden. Schon aus BND-Akten ergibt sich indessen, daß der gleichermaßen muttersprachlich deutsch und albanisch sprechende Murat A. aus einer mazedonisch-albanischen Familie stammt, durchgängig in Deutschland aufgewachsen ist und seine Übersetzungsleistungen von allen Gesprächspartnern hoch geschätzt wurden.

Einen ganz anderen Eindruck hinterließ dann der am Donnerstag einvernommene zweite Vertreter des Bundesnachrichtendienstes, der ohne jeden persönlichen Angriff sachlich und professionell darüber informierte, daß seine Rechtsgutachten, allein auf den ihm mitgeteilten Informationen einer anderen Abteilung basierten, die er selbst nicht geprüft habe. Im Gegensatz zu seiner Kollegin unterschied er deutlich was er selbst wahrgenommen, was ihm Dritte mitgeteilt hätten und was lediglich eine eigene Bewertung oder Hypothese sei. Zur Erleichterung der Ladung von Zeugen offenbarte er weiter interne Neubezeichnungen von Organisationseinheiten im BND und deren Verteilung auf die Dienstorte Berlin und Pullach nach einer Anfang 2009 durchgeführten Umstrukturierung.

Großes Kopfzerbrechen bereitete den Prozeßbeteiligten schließlich das Schicksal des wesentlichsten Anklage-Asservates, von welchem dem Gericht zwei äußerlich verschiedene Ausfertigungen bzw. Kopien vorlagen. Auch die Erklärung von Bundesanwalt Wolf-Dieter Dietrich, daß BKA habe ihm mitgeteilt, „Geheim“-Stempel seien auf dem als „Original“ einzuordnenden Dokument durch das BKA lediglich aufgrund einer internen Vorschrift angebracht und das „Original“ dort weiter „nur durch einen Registraturfehler“ mit einem Stempel „2. Ausfertigung“ gekennzeichnet worden, konnten die Zweifel der Verteidigung, daß hier etwas anderes vorgelegt wurde, nicht beseitigen.

Am Montag, dem 21.12.2009 wird der Prozeß mit einer weiteren BND-Zeugin zur Einleitung des Verfahrens fortgesetzt.

03.12.2009

Gericht beginnt mit Beweisaufnahme / Disput um Meldung des Bayerischen Rundfunks / Bundesanwaltschaft will keine Stellung nehmen

Nach der Stellungnahme der Angeklagten am Vortag trat das Gericht mit der Anhörung zweier Zeugen des Bundeskriminalamtes nunmehr in die Beweisaufnahme ein. Das BKA hatte im Rahmen der Ermittlungen die Umsätze sämtlicher Konten der beiden Angeklagten in den vergangenen Jahren überprüft. Im Mittelpunkt des Interesses stehen Zahlungen, die Anton K. fortlaufend an Murat A. geleistet hat und die dieser nach einer Hypothese der Ermittlungsbehörden von seinem Chef erpreßt haben soll. Beide Angeklagte bestreiten dies.
Die Angeklagten hatten am Vortag ausgesagt, daß Murat A. gar nicht wußte, daß sein Chef und Lebensgefährte für den BND arbeitete. Er habe sich vielmehr als Vertreter der Deutschen Botschaft ausgegeben. Zu einem Disput kam es deshalb zwischen Verteidigung und Bundesanwaltschaft über einen Bericht des Bayerischen Rundfunks. Danach habe die Bundesanwaltschaft mitgeteilt, es gebe „zumindest ein Schreiben der Anwälte, aus dem hervorgehe, daß der Übersetzer schon längere Zeit von der BND-Tätigkeit seines Freundes gewußt habe.“ Eine Klarstellung, um welches Schreiben der Verteidiger es sich handeln soll, wollte Bundesanwalt Dietrich nach Rückfrage von Rechtsanwalt Christian Stünkel nicht geben. Solche Presseberichte würden von ihm nicht kommentiert.
Am Mittwoch, dem 09.12.2009 wird der Prozeß fortgesetzt, mit der Zeugeneinvernahme zum völkerrechtswidrigen Ablauf der Durchsuchungsmaßnahme des BKA in Prishtina.

02.12.2009

Angeklagte nehmen zu Vorwürfen Stellung und bestreiten Geheimnisverrat / Massive Kritik am Vorgehen des BND / Verteidigungserklärungen brisanter als Anklage / BND verursacht Rufschaden auf dem Balkan selbst.

Am dritten Verhandlungstag im Münchner BND-Prozeß haben sich Anton K. und Murat A. ausführlich zur Anklage der Bundesanwaltschaft geäußert. In einer von ihren Verteidigern Sascha Jung und Christian Stünkel verlesenen Stellungnahme bestreiten sie Geheimnisse verraten zu haben.. Anton K. betonte, er habe die Residentur des BND im Kosovo überhaupt erst aufgebaut und das nun angeblich abgeschaltete Quellennetz erst geschaffen. Seinen Gesprächspartnern im Kosovo sei genausowenig, wie seinem Dolmetscher bekannt gewesen, daß er vom Geheimdienst war. Im Auftrag des BND habe er sich bei Gesprächen mit diesen als Mitarbeiter der Deutschen Botschaft getarnt, um seinen Spionageauftrag besser durchführen zu können. Daß er vom BND sei, hätten seine Gesprächspartner erst durch eine Pressemitteilung der Bundesanwaltschaft erfahren, die ihn damit enttarnt habe.
Anton K. schilderte, daß es beim Aufbau der politisch heiklen BND-Vertretung im UNO-Mandatsgebiet von Anfang an zu massiven Versäumnissen der Pullacher Vorgesetzten gekommen sei. Ohne die vorgeschriebene geheimdienstliche Ausbildung und Erfahrung, sei er in Prishtina auf sich allein gestellt gewesen und habe auf die Erfordernisse vor Ort reagiert, während man in Pullach am sicheren Schreibtisch saß. Der Einsatz seines Dolmetschers sei zur Erfüllung seines Auftrages vor Ort erforderlich gewesen. Nur so habe er neue Kontakte überhaupt sinnvoll aufbauen können. Bei offiziellen Kontakten als BND-Resident habe er seinen Dolmetscher dagegen nicht eingesetzt. All dies sei dem BND jeweils in detaillierten Protokollen mitgeteilt worden. „Wenn die der Einsatz meines Dolmetschers gestört hätte, hätten die mich jederzeit abberufen oder den Einsatz verbieten können.“ Erst, als ein Vorgesetzter alle unter Legende „Deutsche Botschaft“ geführten Kontakte in formelle BND-Informanten habe umwandeln und seine Arbeit ohne Rücksicht auf die Gegebenheiten vor Ort auf eine andere Grundlage stellen wollte, sei es zu massivem Krach gekommen.
Daß er die gleichgeschlechtliche Beziehung zu seinem Dolmetscher im BND hätte melden müssen, räumt Anton K. freimütig ein, doch habe er nicht geglaubt, daß seine Vorgesetzten hierfür Verständnis gehabt hätten.
Murat A. sagt, er sei seinem späteren Chef in einem Café in Prishtina aufgefallen, weil er in badischem Dialekt telefonierte. Anton K. habe ihn dann später kontaktiert, weil er einen Dolmetscher für seine Gespräche als Angehöriger der Botschaft suchte. Die Aufgabe habe er gern angenommen, weil er so Leute kennenlernen konnte, die man sonst nur in den Nachrichten sieht. Später habe man sich ineinander verliebt.
Der heute 29jährige bestreitet den Anklagevorwurf in die Organisierte Kriminalität des Balkans verstrickt zu sein und für mehrere andere Geheimdienste zu arbeiten. Wenn er zu zwielichten Kreisen habe Kontakt aufnehmen müssen, so sei dies im Rahmen von Rechercheaufträgen der Vorgesetzten seines Chefs gewesen.
Auch den Vorwurf sich über einen Zeitraum von knapp drei Jahren € 14.000 durch falsche Abrechnungen erschlichen zu haben, bestreiten die Angeklagten. Murat A. habe das bekommen, was vertraglich vereinbart war. Zudem habe Anton K. schon in einem Monat über 7.000 € verdient, so daß er es nicht nötig hatte, sich unter großer Gefahr ein paar Euro mehr zu erschleichen.
Die Rechtsanwälte der beiden Angeklagten Christian Stünkel und Sascha Jung betonten übereinstimmend, der Inhalt der von ihren Mandanten nunmehr notwendigerweise nun abgegebenen Erklärungen sei letztlich wesentlich brisanter als der Anklagevorwurf der Bundesanwaltschaft. Man werde nun dafür Sorge tragen, daß die Hintergründe der Affäre lückenlos aufgeklärt werden.

19.11.2009

OLG erwirkt Aktenfreigabe bei BND / Prozeß für zwei Wochen unterbrochen / Fortsetzung am 02.12.2009

Nachdem das OLG München beim Bundesnachrichtendienst die Freigabe der von diesem als geheim eingestuften Aktenteile für die Verteidiger erwirkt hatte, wurde das Verfahren am zweiten Prozeßtag für zwei Wochen unterbrochen, um den Angeklagten die Sichtung des Materials und damit die Vorbereitung der Hauptverhandlung zu ermöglichen. Am 02.12.2009 wird der Prozeß fortgesetzt.

18.11.2009

Prozeßauftakt in München / Verteidiger fordern Herausgabe der vom BND als geheim eingestuften Prozeßaktenteile und beantragen Aussetzung des Verfahrens / Oberlandesgericht München will für umgehende Freigabe sorgen

Die Verlesung der Anklageschrift durch Bundesanwalt Wolf-Dieter Dietrich und das Recht auf Akteneinsicht standen im Mittelpunkt des ersten Prozeßtages vor dem Oberlandesgericht München. Zuvor hatten die Verteidiger beantragt, das Verfahren so lange auszusetzen, bis auch die vom BND als geheim eingestuften Teile der Prozeßakten an sie herausgegeben und so eine sachgerechte Verteidigung ermöglicht würde. Die Angeklagten hätten ein Recht darauf, auch die als geheim eingestuften Teile der Akten mit ihren Verteidigern vertraulich zu sichten und zu besprechen, weswegen diese Unterlagen von Amts wegen herauszugeben seien. Solange dies nicht geschehen sei, komme eine Einlassung zur Sache überhaupt nicht in Frage. Den diesbezüglichen Disput zwischen Bundesanwaltschaft und Verteidigung beendete der Senat mit der Ankündigung, beim BND auf eine umgehende Freigabe der verlangten Akten hinzuwirken und diese sodann an die Verteidiger herauszugeben.